..dann schenke ihm deins.
Da sitzt ein rauschbärtiger Mann im
Zug, liest, sieht ab und an vom Buch auf, die Lippen zu einem zufriedenen
Lächeln geformt.
Erster Gedanke „cool der Nikolaus“.
Er blickt kurz auf als ich mich ihm
gegenüber auf den Fensterplatz fallen lasse während mein Blick seine
freundlichen Augen streift. Heimlich beobachte ich ihn aus den Augenwinkeln.
Sein dickes in einen tief marin-blauen Band gehülltes Buch scheint auf eine
Weise fesselnd und anregend zugleich zu sein, denn routiniert vertieft er sich erst
einige Minuten in die altertümlich wirkenden, vergilbten Seiten des Schmökers
um sich danach im Sitzen aufzurichten, seine Brille abzunehmen und sein Umfeld
ausgiebig und nachdenklich betrachten zu
beginnen.
Oder ihm wird einfach nur schlecht
beim Lesen, was beim Sitzen auf rotierenden Rädern durchaus vorkommen kann (das
erzählt zumindest die Klimaanlage meiner Bekannten, welche seit solch einem
prägenden Ereignis seltsame Gerüche in den verschiedensten Geschmacksrichtungen
von sich gibt - die Klimaanlage, nicht die Bekannte versteht sich).
Ich versuche den Titel des Buches zu
entziffern, bekomme aber nur seine sich davor legenden, breiten Handrücken zu
sehen. Große, männliche Handrücken die es unmöglich gestalten mir die Sicht auf
die dort womöglich eingeprägten Buchstaben und Worte zu erheischen.
Einen Moment lang glaube ich er
könnte beginnen mich zu bekehren. Zeugen Jehovas und so.. aber es ist definitiv
keine Bibel die gebettet in seinen kräftigen Händen liegt. Uff.
Weiß er, dass er gerade diese Sätze
hier füllt? Dass seine alleinige Anwesenheit den Stift zwischen meinen Fingern
dazu bringt, sich schwungvoll über den zarten, von Taschen und Rucksäcken
leicht lädierten Schreibblock zu hieven?
„Ein normaler Mensch“ denke ich mir.
Glücklich in seinem Tun. Sollte es mehr davon geben.
Wir fahren an einem Feld vorbei dessen
vor längerer Zeit gesäte Saat sich noch immer standhaft mit all ihren grünen,
inzwischen ausgewachsenen Sprösslingen durch den festgesetzten Schnee hindurch
kämpft. Ein Hanffeld. Ich muss unweigerlich grinsen.
Leider treffe ich immer weniger
Menschen die ihr Lächeln in der Welt verteilen, einfach so, weil ihnen danach
zumute ist. Ist es peinlich geworden fremden Menschen zu zeigen, dass man sich
gerade über einen Gedanken oder ein sich ihm bietendes Bild freut? Ganz
normales Kopfkino eben. Vielleicht freut sich Nikolaus-Mann ebenfalls mich hier
verträumt grinsend dem Nutzhanffeld hinterher glotzend sitzen zu sehen? Lächeln
steckt doch an.
Als ich ein schüchternes Lächeln in
seine Richtung werfe ist seines verschwunden. Macht nichts. Eine kleine Fahrt
lang hatte seine Anwesenheit mir ein positives Gefühl von Vertrautheit
geschenkt.
Im nächsten Zug sitzend bemerke ich
zwei in grün-schwarzen Stoff und Leder vermummte Bahnhofspolizeibeamten welche
drei Sitzreihen vor mir einen Passagier nach seinem gültigem Fahrschein,
Reisepass, Messer und anderen Waffen fragen. Ja da fegt die Realität wieder
einen Hauch Alltag in meine Reise hinein.
Hat mich gefreut Herr Nikolaus-Mann.
Wünsche eine angenehme Weiterreise.
..und übrigens:
"Die guten Seiten des Lebens zu erkennen nimmt nicht mehr Zeit in Anspruch, als die schlechten zu sehen."
(Jimmy Buffett)
Social Distortion - Reach for the Sky
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