Dienstag, 4. Dezember 2012

Wenn jemand kein Lächeln für dich übrig hat..



..dann schenke ihm deins.
 
Da sitzt ein rauschbärtiger Mann im Zug, liest, sieht ab und an vom Buch auf, die Lippen zu einem zufriedenen Lächeln geformt.
Erster Gedanke „cool der Nikolaus“.
Er blickt kurz auf als ich mich ihm gegenüber auf den Fensterplatz fallen lasse während mein Blick seine freundlichen Augen streift. Heimlich beobachte ich ihn aus den Augenwinkeln. Sein dickes in einen tief marin-blauen Band gehülltes Buch scheint auf eine Weise fesselnd und anregend zugleich zu sein, denn routiniert vertieft er sich erst einige Minuten in die altertümlich wirkenden, vergilbten Seiten des Schmökers um sich danach im Sitzen aufzurichten, seine Brille abzunehmen und sein Umfeld ausgiebig und nachdenklich  betrachten zu beginnen.
Oder ihm wird einfach nur schlecht beim Lesen, was beim Sitzen auf rotierenden Rädern durchaus vorkommen kann (das erzählt zumindest die Klimaanlage meiner Bekannten, welche seit solch einem prägenden Ereignis seltsame Gerüche in den verschiedensten Geschmacksrichtungen von sich gibt - die Klimaanlage, nicht die Bekannte versteht sich).

Ich versuche den Titel des Buches zu entziffern, bekomme aber nur seine sich davor legenden, breiten Handrücken zu sehen. Große, männliche Handrücken die es unmöglich gestalten mir die Sicht auf die dort womöglich eingeprägten Buchstaben und Worte zu erheischen.
Einen Moment lang glaube ich er könnte beginnen mich zu bekehren. Zeugen Jehovas und so.. aber es ist definitiv keine Bibel die gebettet in seinen kräftigen Händen liegt. Uff.
Weiß er, dass er gerade diese Sätze hier füllt? Dass seine alleinige Anwesenheit den Stift zwischen meinen Fingern dazu bringt, sich schwungvoll über den zarten, von Taschen und Rucksäcken leicht lädierten Schreibblock zu hieven?
„Ein normaler Mensch“ denke ich mir. Glücklich in seinem Tun. Sollte es mehr davon geben.
Wir fahren an einem Feld vorbei dessen vor längerer Zeit gesäte Saat sich noch immer standhaft mit all ihren grünen, inzwischen ausgewachsenen Sprösslingen durch den festgesetzten Schnee hindurch kämpft. Ein Hanffeld. Ich muss unweigerlich grinsen.
Leider treffe ich immer weniger Menschen die ihr Lächeln in der Welt verteilen, einfach so, weil ihnen danach zumute ist. Ist es peinlich geworden fremden Menschen zu zeigen, dass man sich gerade über einen Gedanken oder ein sich ihm bietendes Bild freut? Ganz normales Kopfkino eben. Vielleicht freut sich Nikolaus-Mann ebenfalls mich hier verträumt grinsend dem Nutzhanffeld hinterher glotzend sitzen zu sehen? Lächeln steckt doch an.

Als ich ein schüchternes Lächeln in seine Richtung werfe ist seines verschwunden. Macht nichts. Eine kleine Fahrt lang hatte seine Anwesenheit mir ein positives Gefühl von Vertrautheit geschenkt.

Im nächsten Zug sitzend bemerke ich zwei in grün-schwarzen Stoff und Leder vermummte Bahnhofspolizeibeamten welche drei Sitzreihen vor mir einen Passagier nach seinem gültigem Fahrschein, Reisepass, Messer und anderen Waffen fragen. Ja da fegt die Realität wieder einen Hauch Alltag in meine Reise hinein.

Hat mich gefreut Herr Nikolaus-Mann. Wünsche eine angenehme Weiterreise.

 ..und übrigens:
"Die guten Seiten des Lebens zu erkennen nimmt nicht mehr Zeit in Anspruch, als die schlechten zu sehen."
(Jimmy Buffett)


Social Distortion - Reach for the Sky


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen