Tag
X
Was
passierte, wenn an einem Tag X auf einmal sämtliche Lichtquellen aller auf der
Welt gesähten Glühbirnen, Bildschirme etc. erlischten, irreparabel auf dem
Friedhof der Zeit beerdigt würden?
Chaos
würde wohl ausbrechen und die Frage nach dem „Warum“, dem „Weshalb“ in den
aufgebrachten Mündern vom einen bis zum anderen Ende der Städte quer durch die
Straßen getragen werden. Wut, Langeweile und vielleicht auch Angst kämen unter
den Menschen auf und dann, dann flögen die ersten Computer und Flachbildschirme
aus den Fenstern der protestierenden Aufständigen. Zerschellen würden sie dort
auf dem grauen, harten Beton, direkt neben den verschreckten Passanten. Es wäre
so viel leiser in den Häusern und Wohnungen
- und so viel lauter auf den Straßen. Keine abgedroschene Seifenoper vor
der Spätschicht, kein Hartz IV TV am Nachmittag, kein Checken der E-Mails am
Abend, kein Facebook, den gesamten Tag über. Schockzustand. So viel Zeit aber
viel zu wenige Gedanken und Ideen, diese zu füllen.
Als
Kind hatten wir stets etwas zu tun, verschwendeten nur wenig Zeit damit,
nachzudenken, ob etwas sinnvoll sei oder nicht; ob eine Sache gelingen würde
oder nicht; ob etwas nun unklug sei oder nicht – nein, wir taten es einfach.
Wir
legten uns unter das rauschende Blätterdach einer sich im Wind wiegenden Birke
und betrachteten stundenlang das durch die Sonne schimmernde Blätterspiel.
Wir
stiegen barfuß in den viel zu kalten Bach und verharrten dort so lange, bis der
letzte lehmige Stein aus seiner erdigen Verankerung gehoben und neu platziert
war, und ein kleiner akzeptabler Staudamm entstanden war, welcher das
Flusswasser in einem neuen, interessanteren Fließmuster über den Boden gleiten
ließ.
Wir
trieben uns auf verlassenen Baustellen herum, gingen neugierig von Schrotthaufen
zu Schrotthaufen und fanden überall ein lohnenswertes Fundstück, verrostet,
verschmutzt, unseren Schatz.
Ja,
wir lebten und wir lebten richtig.
Ich
denke, dass nach und nach mit jeder vergehenden Umdrehung des rotierenden,
tickenden Uhrzeigers, diese kindliche Vergangenheit uns wieder einholen könnte.
Unsere Körper würden sich wieder öfter vor die Haustüre wagen, unsere Schritte
uns häufiger an längst vergessene Orte tragen, unsere blassen Gesichter sich
vorsichtig der Sonne entgegen strecken, sich an den Wärme spendenden hellen
Strahlen erfreuend. Unsere Gespräche fänden nicht mehr auf virtueller Ebene,
sondern von Angesicht zu Angesicht statt. Keine Smileys, Zeichen oder sonstige
zusammengewürfelten Buchstaben mehr, welche einzig allein dazu erschaffen
wurden, unsere Gefühle und Körpersprachen, Mimiken und Gestiken zu ersetzen.
Wir stünden uns gegenüber und sähen uns in die Augen.
Langsam
füllten die Straßen sich wieder, die Wiesen und die Wälder. Abends säße man bei
Kerzenlicht beisammen oder um ein kleines Feuer herum – wie früher, im
Ferienlager.
Leben
verlernt man nicht. Spielen verlernt man nicht. Man muss sich nur daran
erinnern, erwecken, was lange Zeit vor sich hin geschlummert hat, die Augen
geschlossen vor einer Welt aus Gewohnheiten, Vorschriften und fremden
Denkmustern, welche teils unbewusst, teils bewusst, von der Masse gedrängt zu
den Eigenen übergegangen waren.
Ich
denke, dass vielen von uns die Augen neu geöffnet- und die Welt außerhalb
unserer Wände sich als ein Schauplatz voller Emotionen - wahrhaftigen Emotionen,
keinen antrainierten - offenbaren würde.
Ich
wünschte beinahe, es käme dieser Tag X, welcher die Welt zu einem Spielplatz
seiner Menschenkinder, einem Ort der Begegnungen zurück verwandeln würde,
lebenswert einfach.
und übrigens:
Die ganze Dunkelheit der Welt reicht nicht aus, das Licht einer einzigen Kerze zu löschen.
Chris Cosmo - Scheiß auf Facebook