Dienstag, 5. Februar 2013

Noch sind wir zwar keine gefährdete Art..

 ..aber es ist nicht so, dass wir nicht oft genug versucht hätten, eine zu werden.

Widerwillig öffnet Nejal seine von zarten Wimpern umrahmten, dunklen Augen und sein erster Blick fällt auf die am Fußboden liegende Wanduhr. Sie ist noch immer da. Gebettet auf ihrem eigenen Häufchen zersplitterten Glases liegt sie nun schon dort, seit seine Mutter sie in einem Anflug an auflebender Hilflosigkeit, zornig und mit letzten gesammelten Kräften dorthin verbannte. Unaufhörlich drängt sich ihm seither das Bild dieser schluchzenden Gestalt auf, die neben dem kleinen Wohnzimmertisch zusammengekauert auf dem verblichenen Teppich kniet, verzweifelt die Zeiger anschreiend, schneller zu kreisen.

Ablenkung suchend schleicht er mit ein paar Schritten zur vernagelten Türe und blinzelt schüchtern den staubigen Sonnenstrahlen entgegen, welche sich trotzig ihren Weg durch die löchrigen Bretter gesucht haben.

Das bisschen Holz würde sie nicht schützen können, hatte sein älterer Bruder zu ihm gemeint, bevor er den rostigen Revolver aus der Nachttischschublade des Vaters kramte und im aufgewirbelten Sand der tobenden Straßen verschwand. Genau wie sein Vater - drei Jahre zuvor.

Vieles hatte sich seitdem verändert. Die einst so prächtig leuchtenden Farben duftender Blumenbeete, durchzog nun ein trostloser Schatten aus welkem Braun. Die damals von zufrieden gurrenden Tauben besetzten Dächer ragten nur noch vereinzelt, vernarbt und von der Vergangenheit gezeichnet gen Himmel empor – und auch dieser war in den letzten Tagen gerade einmal schemenhaft zu erahnen gewesen.

Durch die ausgestorbenen Straßen hallt das Echo der Gegenwart. Prallt von den Häuserdächern ab, um sich durch die rissigen Barrikaden hindurch bis ins Innerste eines jeden Raumes vor zu drängen. Ein jedes Mal wenn das heisere Lied der Sirenen zu spielen beginnt; ein jedes Mal, wenn die verängstigten Familien in einer Ecke zusammengepfärcht das grollende Beben des Erdbodens zu spüren erwarten; ein jedes Mal wenn auf dieses bedrohliche Beben hin die klagenden Schreie aus der immer näher schreitenden Ferne zu ihnen vordringen.

Ein jedes Mal dann, schweift der Blick des Jungen zu dieser Uhr ab. Stillstehend in der Zeit, auf dem Haufen ihrer eigenen Scherben gebettet, tot.

Wie lange noch wird sie dort liegen, um sie schmerzhaft daran zu erinnern, dass wenn Herzen erst aufgehört haben zu schlagen, es sinnlos ist, weiterhin nach neu verronnener Zeit zu fragen. Denn es hört nicht so schnell auf. Die Zeit schließt keine Kompromisse. Die Zeit verhandelt nicht. Und die Zeit nimmt keine Rücksicht – ebenso der Krieg.

..und übrigens:
Ich kann mir noch so lange einreden, dass es Blumen sind durch die ich schreite – am Ende sind nicht sie es, die den darauf spielenden Kindern blutig ihre Illusionen eines je wieder eintretenden, normalen Lebens zerreißen.



Greenday - Wake me up when September ends

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