Freitag, 28. September 2012

Wohnort: virtuell..

..oder gibt´s dich etwa auch in real?



Tag X
Was passierte, wenn an einem Tag X auf einmal sämtliche Lichtquellen aller auf der Welt gesähten Glühbirnen, Bildschirme etc. erlischten, irreparabel auf dem Friedhof der Zeit beerdigt würden?

Chaos würde wohl ausbrechen und die Frage nach dem „Warum“, dem „Weshalb“ in den aufgebrachten Mündern vom einen bis zum anderen Ende der Städte quer durch die Straßen getragen werden. Wut, Langeweile und vielleicht auch Angst kämen unter den Menschen auf und dann, dann flögen die ersten Computer und Flachbildschirme aus den Fenstern der protestierenden Aufständigen. Zerschellen würden sie dort auf dem grauen, harten Beton, direkt neben den verschreckten Passanten. Es wäre so viel leiser in den Häusern und Wohnungen  - und so viel lauter auf den Straßen. Keine abgedroschene Seifenoper vor der Spätschicht, kein Hartz IV TV am Nachmittag, kein Checken der E-Mails am Abend, kein Facebook, den gesamten Tag über. Schockzustand. So viel Zeit aber viel zu wenige Gedanken und Ideen, diese zu füllen.
Als Kind hatten wir stets etwas zu tun, verschwendeten nur wenig Zeit damit, nachzudenken, ob etwas sinnvoll sei oder nicht; ob eine Sache gelingen würde oder nicht; ob etwas nun unklug sei oder nicht – nein, wir taten es einfach.
Wir legten uns unter das rauschende Blätterdach einer sich im Wind wiegenden Birke und betrachteten stundenlang das durch die Sonne schimmernde Blätterspiel.
Wir stiegen barfuß in den viel zu kalten Bach und verharrten dort so lange, bis der letzte lehmige Stein aus seiner erdigen Verankerung gehoben und neu platziert war, und ein kleiner akzeptabler Staudamm entstanden war, welcher das Flusswasser in einem neuen, interessanteren Fließmuster über den Boden gleiten ließ.
Wir trieben uns auf verlassenen Baustellen herum, gingen neugierig von Schrotthaufen zu Schrotthaufen und fanden überall ein lohnenswertes Fundstück, verrostet, verschmutzt, unseren Schatz.
Ja, wir lebten und wir lebten richtig.
Ich denke, dass nach und nach mit jeder vergehenden Umdrehung des rotierenden, tickenden Uhrzeigers, diese kindliche Vergangenheit uns wieder einholen könnte. Unsere Körper würden sich wieder öfter vor die Haustüre wagen, unsere Schritte uns häufiger an längst vergessene Orte tragen, unsere blassen Gesichter sich vorsichtig der Sonne entgegen strecken, sich an den Wärme spendenden hellen Strahlen erfreuend. Unsere Gespräche fänden nicht mehr auf virtueller Ebene, sondern von Angesicht zu Angesicht statt. Keine Smileys, Zeichen oder sonstige zusammengewürfelten Buchstaben mehr, welche einzig allein dazu erschaffen wurden, unsere Gefühle und Körpersprachen, Mimiken und Gestiken zu ersetzen. Wir stünden uns gegenüber und sähen uns in die Augen.
Langsam füllten die Straßen sich wieder, die Wiesen und die Wälder. Abends säße man bei Kerzenlicht beisammen oder um ein kleines Feuer herum – wie früher, im Ferienlager.
Leben verlernt man nicht. Spielen verlernt man nicht. Man muss sich nur daran erinnern, erwecken, was lange Zeit vor sich hin geschlummert hat, die Augen geschlossen vor einer Welt aus Gewohnheiten, Vorschriften und fremden Denkmustern, welche teils unbewusst, teils bewusst, von der Masse gedrängt zu den Eigenen übergegangen waren.
Ich denke, dass vielen von uns die Augen neu geöffnet- und die Welt außerhalb unserer Wände sich als ein Schauplatz voller Emotionen - wahrhaftigen Emotionen, keinen antrainierten - offenbaren würde. 
Ich wünschte beinahe, es käme dieser Tag X, welcher die Welt zu einem Spielplatz seiner Menschenkinder, einem Ort der Begegnungen zurück verwandeln würde, lebenswert einfach.

und übrigens:
 Die ganze Dunkelheit der Welt reicht nicht aus, das Licht einer einzigen Kerze zu löschen.


Chris Cosmo - Scheiß auf Facebook


 

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